DAS LIED VOM GRÖSSENWAHN (Op. 189)
Musik: Karl Hajós (1889 – 1950) / Text: Fritz Löhner-Beda (1883 – 1942) /
Bearbeitung: Notker Homburger
Liebe Leute hört die neue Weise
Die ich zum Preise
Seelischer Bescheidenheit geschrieben
Die wir doch alle lieben
Die aber jetzt leider außer Kurs gesetzt.
Ein jeder Schubjak
Möchte schon ein großer Schieber sein
Das kleinste Ferkel glaubt
Es ist ein ausgewachs'nes Schwein
Und jeder Niemand wird schon heute hierzuland
Direktor genannt.
Das ist der Grössenwahn
Der hat's uns angetan
Es möcht ein jeder hoch hinaus
Und dann geht ihm die Puste aus
Das ist der Größenwahn
Der hat's uns angetan
Oh legt ihn ab
Sonst sind die Kräfte zu knapp!
Onkel Bollmann ist schon alt an Jahren
Und sehr erfahren.
Trotzdem glaubt er noch an seine Triebe,
Punkto aktive Liebe,
Und preiset laut
Seine siebzehnjähr'ge Braut.
Die Freunde raten ihm
Nicht gar so selbstbewusst zu sein,
Jedoch er sagt:
„Bei mir da steht noch fest die Wacht am Rhein!“
Doch nach der ersten Nacht
Mit seiner jungen Frau
Da merkt er's genau:
Es war nur Grössenwahn
Der ihm das angetan.
Es möcht ein jeder hoch hinaus
Und dann geht ihm die Puste aus.
Das ist der Größenwahn,
Der hat's uns angetan
Oh legt ihn ab
Sonst sind die Kräfte zu knapp!
Ich kenn' einen großen Telepathen
Der mir verraten
Daß er einen kolossalen Schlager
Habe auf seinem Lager
'Ne Sensation am Gebiet der Suggestion
Er steigt wo auf das Dach
So sagt er, mitten in der Stadt
Und oben kitzle er
Solang den Telegraphendraht
Bis der Direktor
In der Hauptanstalt erwacht
Und fürchterlich lacht
Das ist doch Grössenwahn
Der ihm das angetan.
Es möcht ein jeder hoch hinaus
Und dann geht ihm die Puste aus.
Das ist der Größenwahn,
Der hat's uns angetan
Oh legt ihn ab
Sonst sind die Kräfte zu knapp!
Das Lied wird in „Hofmeisters Musikalisch-Literarischem Monatsbericht über neue Musikalien, musikalische Schriften und Abbildungen“ im März 1921 aufgeführt („Hajos, Karl: Opus 189: Das Lied vom Grössenwahn: Liebe Leute hört die neue Weise. Foxtrot-Lied für 1 Stimme und Pianoforte, Berlin, Bohème-Verlag, 6 Mark“).
Im September 1921 folgte eine Bearbeitung für Salonorchester.
Im Dezember 1921 ist zu lesen: „Hajos, Karl: Opus 189: Das Lied vom Riesenrad: Das ist das Riesenrad, das sich so langsam draht“. Für Gesang mit Pianoforte 9 Mark / für Salonorchester 10 Mark.
Zur selben Musik (Opus 189) wurde also (wiederum von Beda) ein neuer Text geschrieben. Man kann nur vermuten, daß der ursprüngliche Text der Zensur zum Opfer gefallen ist. Und Anlaß hierfür war gegebenenfalls sicherlich die zweite Strophe bzw. darin das Zitieren der „Wacht am Rhein“.
„Die Wacht am Rhein“ ist zwar schon 1840 entstanden, war aber dann im Krieg 1870/71 mit Abstand das populärste Lied und war mit seiner gegen den „Erzfeind“ Frankreich gerichteten Lyrik auch im ersten Weltkrieg sehr populär:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum Deutschen Rhein!
Wer will des Stromes Hüter sein?
Lieb Vaterland magst ruhig sein,
Lieb Vaterland magst ruhig sein:
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein!
Fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein! usw....
(Ausführlicheres zur „Wacht am Rhein“ bei: Uli Otto und Eginhard König: Ich hatte einen Kameraden. Militär und Kriege in historisch-politischen Liedern in den Jahren 1740 bis 1914. Conbrio Verlag, Regensburg 1999)
Auch wenn in der unmittelbaren Nachkriegszeit vieles möglich war, spätestens 1921 war die Zensur wieder am Werk. Und nach der von vielen als „nationale Schande“ empfundenen Niederlage im 1. Weltkrieg, die eben nicht mehr fest stehende „Wacht am Rhein“ in einen derart sexualisierten Zusammenhang gestellt zu sehen, war wohl zuviel für die für Zensur zuständigen Herrschaften.
Das Lied hat jedenfalls keine große Verbreitung gefunden und Schallplattenaufnahmen sind nicht bekannt. Es ist so selten, daß es nicht einmal in deutschsprachigen Bibliotheken vorhanden ist.
Gefunden haben wir es bei belgischen Sammlern:
Divine Crappé und Frank Lateur aus Gent in Belgien haben eine sensationelle Notendruck-Sammlung und präsentieren diese im Internet unter www.imagesmusicales.be (absolut empfehlenswert!!!) und waren so freundlich, uns eine Kopie des Liedes zukommen zu lassen. Nochmal herzlichen Dank!